Macht oder Ohnmacht der LINKEN

Neues Deutschland

Will die Linkspartei Mehrheiten jenseits der Konservativen ermöglichen, dann muss sie ihre Verzagtheit ablegen

Kürzlich hat der Parteivorstand der LINKEN nach erheblicher Debatte eine Wahlkampfstrategie beschlossen. Dass es dazu Kontroversen gab, mag für eine linke Partei an sich nicht überraschend sein; bemerkenswert ist allerdings, dass sich die Auseinandersetzung, die sich bei vorherigen Wahlen auf das Programm konzentriert hat, nunmehr bereits bei der Wahlstrategie zugespitzt hat.

Verwunderlich ist das alles nicht. Denn die Konfliktlinien in der Gesellschaft und in der LINKEN sind unübersichtlicher geworden. Während es vor zwei Jahren auch in unserer Partei faktisch keinerlei Debatte mehr über eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene ab 2017 gegeben hat, gewann diese Diskussion vor allem in den letzten Monaten in allen drei in Rede stehenden Parteien erheblich an Fahrt. Dies erscheint auf den ersten Blick umso verwunderlicher, als dass weder die Meinungsumfragen aktuell eine Mehrheit für solch eine Koalition prognostizieren noch die gegenseitigen inhaltlichen Vorbehalte in allen drei Parteien reduziert worden sind.

Zwang zur Kooperationsfähigkeit
Die Gegenargumente innerhalb der LINKEN sind bekannt und übersichtlich: zum einen die schlechten Erfahrungen bei eigenen Regierungsbeteiligungen, zum anderen das Verhalten der potenziellen Koalitionspartner in der zentralen Frage der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft. Und natürlich stimmt ebenso die Analyse, dass auch SPD und Grüne eine erhebliche Mitverantwortung für die Polarisierung unserer Gesellschaft haben und damit nicht unbeteiligt sind an den Voraussetzungen, die zum rasanten Aufstieg der neuen Rechten geführt haben.

Und trotzdem wäre es fatal, in die politische Auseinandersetzung des Jahres 2017 mit der Losung zu ziehen: Die LINKE allein gegen den neoliberalen Block von Bündnis 90/Die Grünen bis AfD. Zum einen würde dies die realen Unterschiede zwischen diesen Parteien in unzulässiger Weise verwischen. Zum anderen erleben wir innerhalb von SPD und Grünen erhebliche Auseinandersetzungen zu ihrer Positionierung in der sozialen Frage. Die Grünen demonstrierten das auf ihrem letzten Bundesparteitag. Die Sozialdemokraten u. a. gerade im EU-Parlament, in dem einerseits ihr Parlamentspräsident das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada ohne Rücksicht auf Verluste durchboxen will und die sozialdemokratischen Abgeordneten andererseits im Beschäftigungsausschuss dagegen stimmen. Nicht selten wurden wir Zeuge, dass sich beide Parteien in einer Koalition mit der LINKEN deutlich anders positionieren als in einer Koalition mit der CDU. Diese Chancen einer Koalition mit SPD und Grünen zu leugnen, ist letztlich Ausdruck eines mangelnden Selbstbewusstseins der Linkspartei. Auch wir können aus Fehlern vorheriger Regierungsbeteiligungen lernen.

Der wichtigste Fakt, der uns zu einer Kooperationsfähigkeit von Linkspartei, SPD und Grünen zwingt, ist jedoch der radikale Rechtsruck in unserer Gesellschaft. Die drohende Hegemonie der neuen Rechten, in den Wahlen untersetzt durch eine Mehrheit von CDU und AfD, ist zum Greifen nahe. Es besteht durchaus die Gefahr, dass eine solche Mehrheit, wie in Sachsen-Anhalt bereits jetzt, die Rahmenbedingungen für linke Politik drastisch verschlechtert. Auf ihrem Bundesparteitag in Essen hat die CDU gezeigt, wie groß die Schnittmengen zwischen CDU und AfD sind. Die CSU beweist uns täglich, wie gering die politische kulturelle Distanz zwischen den Konservativen und der neuen Rechten ist. Kommt eine solche Mehrheit auch bei der Bundestagswahl 2017 zustande, werden völlig unabhängig von einer Koalitionsentscheidung der CDU die zivilisatorischen Grundlagen unserer Gesellschaft angegriffen werden, und zwar in einer Dimension, wie wir uns dies heute kaum vorstellen können. Eine solche Situation zu verhindern, muss die zentrale Aufgabe aller sich als links verstehenden Kräfte im politischen Spektrum sein.

Schlechter taktischer Kompromiss
Um die beschriebene Gefahr abzuwenden, reicht es jedoch nicht, den Status quo zu verteidigen, der diesen Rechtsruck hervorgebracht hat, so wie Michael Brie und Mario Candeias es in ihrem Beitrag richtig festgestellt haben. Allerdings gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass dieser Status quo auch dadurch entstanden ist, dass LINKE, SPD und Grüne ihren Kooperationsunwillen und ihre Kooperationsunfähigkeit in vielfältiger Art und Weise vor sich her getragen haben. Und leider verabschiedet sich auch der oben erwähnte Artikel »Rückkehr der Hoffnung« von M. Brie/M. Candeias nicht völlig von diesem Denkmuster.

Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als wäre für uns die linke Opposition zu einer CDU/SPD- oder CDU/SPD/Grünen-Regierung die leichtere und effizientere Rolle. Allerdings ist dies ein Trugschluss. Denn anders als bisher ist in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit die drohende Alternative zu den oben genannten Koalitionen eine von CDU und AfD.

Um aber genau das zu verhindern, benötigen wir eine Mobilisierung des Mitte-links-Lagers, die in den letzten Jahren immer stärker verloren gegangen ist. Diese wird auch die LINKE nicht dadurch erreichen, dass sie am eigenen Status quo festhält, nämlich linke Opposition gegen eine Bundesregierung mit SPD-Beteiligung sein zu wollen. Für eine Mobilisierung einer Mehrheit links von CDU und AfD brauchen wir die klare Ansage, dass wir zu einer Kooperation mit SPD und Grünen auch in einer Bundesregierung bereit sind. Natürlich mit einem inhaltlichen Anspruch, das versteht sich von selbst. Das Argument von Brie/Candeias, dass die gesellschaftlichen Umstände insgesamt eine solche Regierungsbeteiligung ungünstig erscheinen lassen, können wir nicht gelten lassen. Denn ohne den ausdrücklichen Willen zur Macht auch der LINKEN werden sich diese Umstände weiter radikal verschlechtern.

Auch der von den beiden Autoren vorgeschlagene Weg der Tolerierung einer SPD-geführten Minderheitsregierung ist eher ein taktischer Kompromiss - und dazu ein schlechter.

Diese Regierungsform war von 1994 bis 2002 in Sachsen-Anhalt politische Realität. Ich selbst war Akteur. Sie stellte damals einen Tabubruch, die Aufhebung der politischen Isolation der PDS dar. Sie war vor allem anfangs eine Kooperation ohne das zugehörige Bekenntnis dazu, zum Teil auch auf Seiten der PDS. Sie hat Türen geöffnet und damit spätere Koalitionen möglich gemacht. Letztlich jedoch scheiterte dieses Modell an der Inkonsequenz der politische Beteiligten, die sie selbst in eine Koalition hätten überführen müssen.

Die praktischen Erfahrungen mit diesem Modell aus Sachsen-Anhalt legten auch die Schwächen einer Tolerierung deutlich offen. Tolerierungsmodelle neigen in der Konsequenz eher zu einer strategischen Defensivrolle des Tolerierenden. Die Koalition agiert, der Tolerierende akzeptiert oder eben nicht. Der Ausweg wäre dann, eine Tolerierungsvereinbarung, die inhaltlich allerdings noch viel stringenter als eine Koalitionsvereinbarung gefasst werden müsste, weil sie nicht mehr am Kabinettstisch nachzusteuern ist. Der einzig verbleibende Vorteil wäre die größere Freiheit zur Darstellung der eigenen Position und das Fehlen einer formalen Koalitionsdisziplin. Allerdings haben sich die Zeiten seit den 90er Jahren auch in dieser Frage radikal geändert. Politische Auseinandersetzungen in einer Koalition unterscheiden sich heute weder in Öffentlichkeit noch in Schärfe maßgeblich von der Auseinandersetzung von Oppositions- und Koalitionsparteien.

Eine Lehre aus Sachsen-Anhalt
Ein weiterer Nachteil der Tolerierung wäre der fehlende Zugriff auf die Exekutive. Und auch das ist eine Lehre aus Sachsen-Anhalt. Die Qualität der Umsetzung eines politischen Programms entscheidet über dessen Wirkung mindestens genau so viel wie der dazugehörige Gesetzesentwurf oder der Haushaltsansatz.

Will die LINKE den bisherigen Status quo verändern, um linke Mehrheiten zu ermöglichen, dann muss sie ihre Verzagtheit ablegen. Die Autorengruppe um Joachim Bischoff hat in ihrem Beitrag »Hat die Linke eine Zukunftsstrategie?« nicht nur auf die wesentlichen Handlungsfelder hingewiesen, die beabsichtigt werden müssen. Sie weisen auch darauf hin, wie Leute wie der der US-amerikanische Linksdemokrat Bernie Sanders oder der britische Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn inhaltliche Positionen mit einem eindeutigen Machtanspruch verbunden haben, was zu einer erheblichen Mobilisierung beigetragen hat. Deshalb ist es so entscheidend, auf eine reale linke Alternative zum Status quo zu setzen.

Will die Linkspartei also eine Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern erreichen, die in der Lage ist, eine CDU/AfD-Mehrheit nach den nächsten Bundestagswahlen zu verhindern, muss sie mit der klaren und selbstbewussten Ansage in den Wahlkampf ziehen: eine Regierung mit den LINKEN ist möglich und greifbar - eine Regierung, die für einen echten inhaltlichen Wandel hin zur sozialen Gerechtigkeit steht und die zivilisatorischen Grundlagen unserer Gesellschaft sichern kann.