Reformationsjubiläum: Schmähung in Stein

Deutschlandfunk

An der Stadtkirche von Wittenberg zeigt ein Relief die "Judensau", ein verbreitetes antisemitisches Motiv des Mittelalters. Der britische Theologe Richard Harvey hat eine internationale Petition gestartet, damit das Bild entfernt wird. Das sei seine "Mission", sagt er. Derzeit besucht er den Wirkungsort Luthers.


Mitten im Wittenberger Stadtzentrum steht die Stadtkirche St. Marien. Die doppeltürmige gotische Hallenkirche ähnelt von weitem ein wenig der Münchner Frauenkirche. Hier hat Martin Luther nicht nur regelmäßig gepredigt, sondern auch das Abendmahl eingeführt. Weltberühmt ist die Wittenberger Stadtkirche allerdings für den Reformationsaltar von Lucas Cranach, dem Älteren. Doch dieser Tage sorgt etwas ganz anderes für Aufmerksamkeit: Die Schmähskulptur - das mittelalterliche Sandsteinrelief "Judensau" - an der südlichen Außenmauer. Man sieht, wie Juden an den Zitzen von Schweinen saugen und trinken, ein Rabbiner macht sich unter dem Schweineschwanz zu schaffen. Die aus dem Jahr 1305 stammende Skulptur, macht den in London lebenden messianischen Juden und Theologen Richard Harvey wütend. Weshalb er mittels einer Petition lautstark die Entfernung fordert.

"Ich fühle Wut, Trauer und Schmerz. Ich fühle mit meinen Menschen, die missbraucht und misshandelt werden. Dieses Spottbild macht sich lustig über die Juden. Wenn der Rabbi  am Hintern des Schweins rumfuhrwerkt, wenn Juden an den Zitzen der Säue saugen, wie kann ich da nicht wütend und traurig sein", sagt Harvey.

Er wippt unruhig mit den Füßen, in der Hand hält er seine zentimeterdicke Petition mit den knapp 5000 Unterzeichnern. Harvey sieht in dem Schmähbild "Judensau" die Gefahr, dass man den jahrhundertealten Antisemitismus am Leben hält. Weshalb er nun mit dem 500jährigen Reformationsjubiläum den richtigen Zeitpunkt gekommen sieht, die Judenverspottung zu tilgen, wie Harvey sagt. Es sei ja auch nicht erlaubt, unterstreicht Harvey, ein Hakenkreuz an die Wand zu malen oder den Hitlergruß zu zeigen, warum man aber mit einem Schmähbild bis heute Juden verhöhnen dürfe, sei ihm absolut unerklärlich.

"Absolut unangebracht, so eine Statue noch öffentlich zu zeigen."

"Alles was ich sage, diese Statue muss entfernt werden. Man sollte sie in ein Museum geben, wo man die genauen Umstände dieser Spottbilder exakt erklären kann. Es ist nur so, dass es absolut unangebracht ist, so ein Statue wie in Wittenberg, noch öffentlich zu zeigen. In Deutschland ist das heutzutage ein strafbare Handlung."

Um die Skulptur gab es schon zu DDR-Zeiten eine heftigen Kontroverse. "So etwas hängt in unserer Kirche? Weg damit" hieß es schon damals. Letztlich verständigte man sich auf ein künstlerisches Mahnmal und hat eine Bronzeplatte des Bildhauers Wieland Schmiedel in den Boden eingelassen. Eine Bodenplatte, durch die scheinbar Blut quillt, das an den Tod von sechs Millionen Juden während der Shoa erinnern soll. Für Richard Harvey aber nicht genug: "Schauen Sie sich doch nur die Leute an. Sie gehen vorbei, ohne einen Blick für das Mahnmal zu haben. Und wenn sie in die Kirche gehen, sehen sie nur die Schönheit der Kirche, sehen die wunderbaren Cranach-Bilder. Aber sie ignorieren das abscheuliche, beleidigende und obszöne Spottbild draußen an der Kirche."

Mit Vorwürfen, dass er ein Bilderstürmer sei, kann der messianische Jude Harvey wenig anfangen. Dennoch gibt es an ihm auch Kritik, auch wenn das keiner laut sagen will. Denn messianische Juden, sind Juden, die an Jesus glauben, das heißt sie befolgen jüdische Gesetze, sagen aber, dass der erwartete Messias Jesus von Nazareth gewesen sei. Und sie betreiben Juden-Mission. Weshalb der Vorwurf im Raum steht, dass die Diskussion um die Entfernung des "Judensau"-Schmähbildes, für Harvey nur eine willkommene Plattform zur Judenmission sei. Der zweifache Großvater Richard Harvey – dessen Nähe zu Evangelikalen auf dem Kirchentag in Stuttgart 2015 zu erleben war - schüttelt energisch mit dem Kopf.

"Meine Mission ist nur, sich für die Entfernung der Judensau einzusetzen", sagt er.

Harvey erzählt, dass seine Vorfahren unter dem Namen Hirschland über Generationen hinweg in Essen gelebt haben, bis heute würde eine U-Bahnstation nach seinen Vorfahren benannt. Während der Zeit der Nationalsozialisten sind viele seiner Familienangehörigen in den Gaskammern der Nationalsozialisten ums Leben gekommen. Einer der Gründe, warum Richard Harvey seine Petition auch als einen "Protest gegen die Geschichtsvergessenheit" bezeichnet.

Der Pfarrer der Wittenberger Stadtkirche Johannes Block kann damit – ähnlich wie die mitteldeutsche evangelische Landesbischöfin Ilse Junkermann – wenig anfangen. Er sieht in dem Spottbild ein "Erinnerungszeichen". Sein Vorschlag:
Entwidmetes Denkmal

"Ich persönlich kann mir vorstellen, dass man in irgendeinem Ritual oder in irgendeiner Prozedur dieses Denkmal entwidmet und das in ein Mahnmal integriert. Aber das kann auch gern am Ort des Geschehens sein. Also das Original erhalten am Originalort, aber das Denkmal als Denkmal entwidmen, um ein neues Mahnmal zu etablieren."

Doch wie das praktisch aussehen soll, darüber müsse in der 3.800 Mitglieder großen Gemeinde jetzt geredet werden, sagt der habilitierte Theologe Johannes Block. Ein Feingeist, kein Polterer wie Luther. Nachdenklich sitzt Block im Buggenhagen-Haus, dem ältesten Pfarrhaus weltweit und rollt behutsam einen Bleistift zwischen den Fingern. Bewusst sei ihm, sagt der in Hameln geborene Pfarrer, dass Plastiken immer stärker als Texte seien, weshalb man in der Auseinandersetzung um das Spottbild neue Wege einschlagen müsse. Ein komplizierter Akt gesteht Johannes Block, der dem Bild die Kraft, das Böse, das Unheilvolle nehmen will.

"Entscheidend wird sein, wie gehen wir kreativ und würdig mit der Vergangenheit um", meint er. "Und da reicht mir nicht die Radikalkur, zu sagen: entfernen. Es muss ein Vorschlag auf den Tisch oder ein Angebot zur Diskussion: Wie gehen wir damit um. Eine Entwidmung würde ich schon einen guten Weg finden."

Und Johannes Block verweist auch auf die historische Erklärung der EKD, als man im November vergangenen Jahres zum Antijudaismus Luthers ganz eindeutig Stellung bezogen habe, indem das weitreichende Versagen der Evangelischen Kirche gegenüber dem jüdischen Volk zum Ausdruck gebracht wurde.

Zu viel Jubel für Luther

Für Wulf Gallert von der Linkspartei, er ist der Vizepräsident des Landtags in Sachsen-Anhalt, ist das nicht genug.  Der Text der EKD sei eben nur ein Text, jetzt müsse ein grundlegende Aufarbeitung bis hinunter zu den einzelnen Gemeindegliedern erfolgen. Gerade das Reformationsjubiläum – so Gallert weiter – biete eine hervorragende Chance. Man dürfe nicht nur Jubelfeiern ausrichten, sondern müsse sich auch mit den dunklen Seiten Luthers – wie Gallert sagt – noch viel deutlicher als bisher auseinandersetzen. Die Debatte, um das Wittenberger Spottbild biete doch beste Voraussetzungen.

"Das eigentliche Problem ist aber, dass man das Reformationsjubiläum bis jetzt mit einer völlig unkritischen Luther-Rezeption ausgestaltet hat. Zumindest in der Öffentlichkeit, sicherlich in einigen theologischen Fachkreisen sicherlich nicht. Aber in der Öffentlichkeit gibt es eine völlig unkritische Luther-Rezeption. Dabei gab es immer die Anmahnung: Wir brauchen eine kritische Auseinandersetzung mit Luther, vor allen Dingen mit seinen Antisemitismus. Das ist nicht gemacht worden", sagt Gallert.

Letztlich wird es ein Ende der Debatte so schnell nicht geben. Dass man in Wittenberg das Spottbild in naher Zukunft von der Stadtkirche entfernen wird, scheint ausgeschlossen. Für den Londoner Theologen und messianischen Juden Richard Harvey völlig unverständlich, er hat nur eine Forderung: Put it away, entfernt die Schmäh-Skulptur.