Islamische Gemeinde ist demotiviert

Volksstimme

Die Islamische Gemeinde Stendal hat ihr fünfjähriges Bestehen gefeiert. Von

Thomas Pusch ›

Thomas Pusch

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Stendal l Bedrückend begann die Veranstaltung zum fünfjährigen Bestehen der Islamischen Gemeinde Stendal – mit einer Gedenkminute für die Opfer von Christchurch. Dazu wurden die Verse aus dem Koran verlesen, die nach den Anschlägen auch im neuseeländischen Parlament verlesen worden waren. „Sie haben Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen zusammengeschweißt“, sagte Sami Mukbel, stellvertretender Vorsitzender der Gemeinde.

Bedrückt war die Stimmung auch, als Mukbel über die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht und deren Folgen sprach. Gerade noch hatte Vorstandsmitglied Saleh Bin Salman die vergangenen fünf Jahre Revue passieren lassen. Er hatte von einer hochmotivierten islamischen Gesellschaft in Stendal gesprochen, die sich als festen Bestandteil der deutschen Gesellschaft gesehen habe. Viele Aktivitäten seien unternommen, noch mehr geplant worden.

Gesprächswünsche blieben unbeantwortet

Doch der 24. April 2018 änderte alles. An jenem Tag veröffentlichte der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt seinen 134 Seiten starken Bericht für das Jahr 2017. Auf Seite 116 erwähnt: die Islamische Gemeinde Stendal. Ihr wird in dem Bericht vorgeworfen, von einer Gruppe dominiert zu werden, die der Muslimbrüderschaft anhängt, die zum bewaffneten Kampf gegen Israel aufrufe und zudem antisemitische Haltungen gezielt an Kinder vermittle. „Wir haben das zunächst für ein Missverständnis gehalten“, schilderte Mukbel die erste Reaktion.

 

Reaktionen gab es aber auch von der nicht-muslimischen Bevölkerung in Stendal. Die politische Diskussion begann. „Sollten in der islamischen Gemeinde Islamisten ein- und ausgehen, dann muss sich der Vorstand von diesen Personen distanzieren und Hausverbote aussprechen“, forderte beispielsweise Chris Schulenburg (CDU). In der Führungsspitze sind zumeist Ärzte aus dem Johanniter-Krankenhaus. Einer sei von seinem Vorgesetzten mit „Na du Terrorist“ begrüßt, im Schwesternzimmer sei der Spruch kursiert: „Wann schlagt ihr Schläfer zu?“ Der Ärztliche Direktor sagte als Beobachter bei einem Prozess gegen zwei Magdeburger, die einen Syrer zusammengeschlagen haben sollten: „Wir haben islamische Ärzte im Haus und wollen hier keine Keimzelle werden.“

Frau angespuckt

Und als ob das nicht schon genug wäre, wurde eine Muslimin im Bus angespuckt, wurde ein zweijähriger Junge als künftiger Terrorist tituliert. Kaum etwas schien noch geblieben zu sein von Stendal als Vorzeigestadt in Deutschland als die sie Mukbel beim Besucher der Staatssekretärin Susi Möbbeck wegen des guten Miteinanders von Muslimen und Nicht-Muslimen im armen Teil Stadtsees bezeichnet hatte.

Die Islamische Gemeinde habe sich dann um Aufklärung bemüht, bereits zwei Tage nach Erscheinen des Verfassungsschutzberichtes habe es die erste Kontaktaufnahme gegeben, zwei weitere Telefonate seien drei Wochen später und Mitte Juni erfolgt, doch es sei nie zu einem Gespräch gekommen.

Widerspruch gegen Vorwürfe

Von einem Mitarbeiter aus dem Sozialministerium habe die Gemeinde dann hinter vorgehaltener Hand etwas konkreter erfahren, warum sie ins Visier des Verfassungsschutzes geraten war. Mitglieder hätten auf ihren Facebookseiten Beiträge mit „Gefällt mir“ markiert oder geteilt, die im Sinne der Ideologie der Moslem-Brüderschaft gewesen seien.

„Den Vorwurf haben wir gleich zurückgewiesen“, sagte Mukbel. Für die privaten Facebook-Seiten ihrer Mitglieder könne die Gemeinde nicht verantwortlich sein, das müsse sie auch nicht. So könne dies auch nicht als Grundlage für die Vorwürfe gelten. Vorwürfe, die von den Verfassungsschützern nie in einem persönlichen Gespräch konkretisiert worden seien. Mukbel fasste sie dennoch am Donnerstagabend versehen mit der Reaktion der Gemeinde zusammen.

Medikamente sind Waffen

Dass es eine dominierende Gruppe in der Gemeinde gebe, die die Ideologie der Muslim-Brüderschaft vertrete, sei „komplett falsch“. Vielmehr seien in der Führung der Gemeinde Ärzte dominierend, die in ihrer Freizeit unentgeltlich anderen Menschen helfen.

Dass auf Facebook-Seiten der Gemeinde zum bewaffneten Kampf gegen Israel aufgerufen werde, sei „realitätsfremd“. Vielmehr sei eine Reihe von Mitgliedern in den bewaffneten Kampf gegen Krankheiten im vom Krieg zerrissenen Jemen eingetreten. „Unsere Waffen sind Medikamente und Hilfsmittel“, erklärte Mukbel.

Kein Rechtsweg

Dass antisemitische Ideologien Kinder vermittelt worden seien, sei ein „Irrtum“. In der Islamischen Gemeinde würde Kindern werde Arabisch, Ethik und Religion gelehrt, Politik hingegen habe bei den Kindern nichts zu suchen. Der Bericht habe bleibenden Schaden hinterlassen.

Lange habe man in der Gemeinde überlegt, welche Konsequenzen gezogen werden sollten. Den Rechtsweg einzuschlagen habe den Vorteil, dass die Vorwürfe vor Gericht aufgeklärt werden könnten. Allerdings koste das viel Geld, Nerven und Zeit. Nein, man wolle die Aktivitäten reduzieren, auch weil es in der Gemeinde das Gefühl mangelnder Anerkennung gebe. Es werde in diesem Jahr Vorstandswahlen geben, Mukbel selbst will nicht mehr antreten.

Oberbürgermeister stärkt den Rücken

Das war ein letzter Paukenschlag nach rund einer Stunde Bericht. Landtagsabgeordneter Wulf Gallert (Die Linke) betonte, dass er immer noch den Rechtsweg befürworte. Das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei bedrückend, er habe auch keine Informationen aus dem Innenministerium, ob die Gemeinde auch im kommenden Bericht wieder auftauche. Pfarrer Ulrich Paulsen versuchte zu motivieren. „Wegducken ist keine Alternative, auch wenn ich es menschlich verstehen kann“, sagte er. Man wolle doch aber zusammen auf dem Weg bleiben. Paulsen ist unter anderem Initiator des Christlich-muslimischen Dialogs.

Oberbürgermeister Klaus Schmotz (CDU) hatte nach dem Verfassungsschutzbericht mit als Erster ein positives Zeichen gesetzt, als er ankündigte, das vetrauensvolle Miteinander fortsetzen zu wollen. Auch am Donnerstagabend stärkte er der Gemeinde den Rücken: „Die fünf Jahre sind eine Geschichte der offenen und kontinuierlichen Zusammenarbeit“.

Eine Volksstimme-Anfrage beim Verfassungsschutz zum aktuellen Stand blieb bis Freitagabend unbeantwortet.